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Markgraf Alexander und die Rote Mauer in Triesdorf


Wenn man heute als kulturinteressierter Mensch auf dem Land lebt hat man beständig das Gefühl, irgendwie von der richtigen Welt abgeschnitten zu sein und beneidet ein bisschen die Leute, die am Abend einfach so ins Theater, ins Kino, Konzert oder zu einer Lesung gehen können, ohne dafür stundenlang bei jedem Wetter in der Gegend herumzufahren und kann gar nicht verstehen, dass die Leute in der Stadt diese Dinge nicht ständig nutzen. Und das, obwohl es im Fernsehen ja nicht nur RTL 2 gibt, Amazon und Co alle Bücher der Welt ins Haus liefern und das Internet den Zugang zum Wissen der Welt für Pfennigbeträge in Sekundenschnelle in jeden Winkel des Landes öffnet.

Man stelle sich das Landleben einmal kurz ohne all dies vor und es wird wirklich bedrohlich erdverbunden. So fällt es vielleicht leichter, sich in die Situation eines ansonsten so beneidenswerten gekrönten Hauptes zu versetzen, das sich auf seinem Landsitz oft so gar nicht wohl gefühlt haben muss.

Markgraf AlexanderIch spreche hier natürlich von unserm Markgrafen Alexander und seinem Triesdorf. Inmitten der ländlichen Umgebung – oder Wildnis – verbrachte er jahrzehntelang den Sommer in seinem bescheidenen Schlösschen und er muss sich da oft sehr abgeschnitten von all dem gefühlt haben, was für ihn die Welt bedeutete, in seiner künstlichen Idylle hinter der Backsteinmauer um Triesdorf herum.
Wie hoch war sie denn, diese Mauer, habe ich als Thema dieses Vortrags formuliert; wie hoch war die symbolische Abgrenzung von der banalen Realität der schuftenden dumpfen Wesen draußen, diese Mauer, die längst nicht mehr das Wild drinnen hielt sondern eigentlich die so wenig schöne Welt draußen.

Er liebte Künste und Wissenschaften ... diese gern zitierte wenn auch etwas banale Aussage, die sein Minister Jahrzehnte nach dem Ende der Markgrafenzeit machte, mag man sicher gelten lassen, und das nicht nur als Gegensatz zu seinem Vater, dem Wilden Markgrafen, dessen Charakteristikum wild wir sicherlich als Gegensatz zu zivilisiert verstehen müssen. Der Zeitgeschmack erforderte von einem statusbewußten Fürsten der zweiten Jahrhunderthälfte zumindest ein demonstratives Bekenntnis zu dem, was als kultiviert galt.

Und was als kultiviert galt wurde nach wie vor in Paris definiert, wo man etwas irritiert zur Kenntnis nehmen musste, dass in England eine ständig populärer werdende Konkurrenz heranreifte. Diesen beiden Modellen fühlte sich der Markgraf zeitlebens verpflichtet, diesen Vorgaben hat er wohl auch entsprochen.

Was bedeutete es nun, ein kultivierter Mensch dieser Zeit zu sein? Zunächst sicherlich ein Vertrautsein mit einem klassischen Bildungskanon, wie ihn das humanistische Gymnasium in eine spätere Epoche hinüberrettete. Ohne eine gute Kenntnis der griechisch-römischen Mythologie zB sind die Figurengruppen auf den Gobelins seines Arbeitszimmers in der Residenz in Ansbach so wenig zu verstehen wie die Skulpturen auf der Residenzfassade oder den vielen verloren gegangenen Gelegenheitsbauwerken.

Die als Zugang zu dieser Welt üblichen alten Sprachen Griechisch und Latein hingegen wurden dem VIP Schüler Alexander indessen schon in einer Bildung light Version geboten, d.h. Griechisch gar nicht und Latein auf eine Weise, dass Jahrzehnte später lobend hervorgehoben wurde, er habe sich bemüht, noch in fortgerücktem Alter Latein zu lernen. So ganz ohne Schulweißheit und Pedanterie, wie es ein Memorandum zu seiner Ausbildung vorschrieb, wird es also damals wohl nicht abgegangen sein; den sorgsam zu vermeidenden Verdruß und Eckel hatte dabei eher der arme Privatlehrer. Viel gelernt hat der junge Herr nicht, auch nicht in Logik, Moral, Physic, Mathematik, Historie und Geographie, die man ihm beibringen wollte. Eine blutsaure Arbeit war es in der zunehmend areligiösen Zeit besonders für den armen Religionslehrer.


Französisch war Hofsprache

Was die unverzichtbare Sprache der feinen Welt, französisch natürlich, anging, stand er schon auf festerem Boden. Seit frühester Kindheit hatte er eine französische Sprachlehrerin und zumindest ein Teil der Ansbacher Hofgesellschaft parlierte wohl bei entsprechenden Gelegenheiten ein wenig auf französisch daher, so dass er die Sprache von Jugend an in einer gewissen Übung hatte. Sie wird er auch in den Monaten seiner Studien in den Niederlanden und Italien verwendet haben und natürlich bei seinen zahlreichen Aufenthalten in Paris als Erwachsener. Von gewissen Eigenheiten bei der Orthographie abgesehen, die man damals ohnehin nicht zu genau nahm, kann man sicher behaupten – Französisch konnte er wohl fließend.

Wann er angefangen hat, Englisch zu lernen, ist unklar, er wird wohl bei seiner ersten Englandreise 1763 schmerzlich festgestellt haben, dass man auf der Insel Französisch nicht für die Sprache der Welt hielt, sondern für die der eben besiegten verachteten Frogs. Bis spät in die achtziger Jahre haben wir kein Zeugnis einer Verwendung der Sprache durch ihn und es scheint in der Tat erst unter der Regierung der Lady Craven gewesen zu sein, deren demonstrative Verachtung der deutschen Sprache den Fürsten dazu brachte, englisch zu sprechen. Das ging so weit, dass es ihm nicht zu albern war, sich sogar mit seinem – deutschen – Leibarzt auf Englisch zu unterhalten. Dass er in seinen Jahren des selbst gewählten Exils das Englisch sicher perfekt beherrschte fällt aus dem Rahmen unseres Interesses hier.

Zumindest erwähnt werden muss die Möglichkeit, dass er auch mehr als ein wenig Italienisch sprach. Am Hof von Turin, wo man sicherlich mit Französisch gut durch kam, hielt er sich immerhin über ein Jahr auf, und als regierender Fürst war er öfters in Italien unterwegs. Gegen Ende seiner Regierungszeit werden ausdrücklich auch italienische Bücher in seiner Privatbibliothek erwähnt.

Wenn Fremdsprachen den Zugang zu einer anderen Kultur darstellen dürfen wir uns nun fragen, wozu Alexander denn einen Zugang erhalten hat.
Es war der Zugang zur französischen Salonkultur, die eine seltsame Mischung darstellte aus oberflächlicher gesellschaftlicher Veranstaltung der adeligen Elite mit einem ernst gemeinten Eingehen auf kulturelle Fragen, geprägt von der Geisteshaltung der Aufklärung, die ja gerade die Existenzberechtigung dieser Schicht in Frage stellte. Aber wie bei der großen Mehrzahl der Teilnehmer beschränkte sich der intellektuelle Aspekt bei unserem Fürsten weitgehend auf den Konsum von Kultur, anspruchsvolle Unterhaltung sicherlich, die Begegnung mit großen Geistern, aber kaum eine tiefere Auseinandersetzung mit den Inhalten. Man wird es niemanden verdenken, wenn er da an den modernen Kulturbetrieb der Vernissagen-Schickeria erinnert wird.

Es scheint ihn z.B. wenig gestört zu haben, dass Baron Holbach Leute wie ihn meinten, wenn vom verbrecherischen Missbrauch des Aberglaubens Christentum durch die Regierenden die Rede war – er kannte ihn persönlich, wie andere Aufklärer auch, und schätzte seine geistreiche Konversation wohl ebenso wie das Gefühl, in der Gesellschaft der wohlklingendsten und berühmtesten Namen der intellektuellen Welt seiner Zeit persönlich bekannt zu sein.

Der Kontakt mit dem allergrößten Namen, der Symbolfigur einer Epoche, blieb ihm zwar vorbehalten, aber wie ein ordentlicher Kulturtourist nahm er wenigstens eine Gesamtausgabe seiner Werke mit und ein nobles Souvenir – die Voltairebüste in der Ansbacher Bibliothek ist Bekenntnis wie auch ein bisschen Selbstdarstellung eines Mannes, der immer ein wenig dem Verdacht kultureller Provinzialität vorbeugen möchte.

Markgraf Alexander: Freund von Pferden und der Jagd

All diese kulturellen Interessen entdeckte der Herr zweier fränkischer Fürstentümer recht spät im Leben. Erst in seinen späten Dreißigern begannen diese Interessen seine gänzliche Orientierung in Richtung Pferde und Jagd überhaupt in Frage zu stellen, die ihm lebenslang soviel bedeutete - zum Schluß wenigstens noch in Form der Zucht von Rennpferden. Bis in die frühen Siebziger Jahre war Kultur für ihn etwas sehr Sekundäres; seine Regierungstätigkeit, die ja seine persönlichen Präferenzen schön widerspiegelt, ist da noch wenig schmeichelhaft – Hofkünstler wurden erst in Ansbach, dann auch in Bayreuth entlassen, das Bildungsleben blieb ohne Förderung und in seiner Residenz fristeten ein paar Musiker eine bescheidene Existenz.

Obwohl er selbst angeblich mit nicht gemeiner Fertigkeit Cello spielte war von einem Musikleben in Ansbach kaum die Rede. Kostengründe mögen den Verzicht auf jede Art von Theaterbetrieb am Hof des Mannes entschuldigen, den einige moderne Verfasser zum vernarrten Theaterliebhaber machen möchten. Es bedurfte der Machtergreifung durch die englische Freundin in den letzten Jahren um Ansbach – und dann ja auch Triesdorf – ein Theater zu geben – Alexanders Werk war das nicht. Das grandiose Bayreuther Markgrafentheater, seit 1769 sein Theater, wurde nicht nur vernachlässigt, weil es fast von Anfang an altmodisch war, sondern weil es für den immer ein wenig gehemmten Ansbacher schlicht unvorstellbar war, dort stilgerecht mit Pauken und Trompeten über die Bühne seinen Einzug zu halten.
Markgräfliche Feste waren in seinen früheren Jahren zeitbedingt steife Angelegenheiten. Man stelle sich nur die Überbleibsel der Bilderserie vor, die ein solches Fest (wohl hier in Triesdorf) zeigen, eines davon im Triesdorf-Buch abgebildet, eines hier: Ob eines davon den Markgrafen selbst zeigt ist sehr fraglich. Da ist wenig zu sehen vom ausgelassen-entspannten ländlichen Fest, allein die sündhaft teuren Galakleider der Herren verpflichteten sie zu ausgesprochen würdevollen Bewegungen. Dort sehe man auf das Exterieur klagte in jenen Jahren ein Insider: Selbstdarstellungen der höfischen Gesellschaft; solche Veranstaltungen müssen es gewesen sein, von denen es seufzend hieß, Erscheinen bei Hof ist Pflicht.

Auch der Fürst selbst betrachtete solche und ähnliche Veranstaltungen als lästige Pflichten; bekannt ist die Aussage, Der Fürst haßt steife Ettiquette und ist am vergnügtesten in einem kleinen Zirkel seiner Bekannten und Freunde. Dementsprechend richtete er sich sein Leben allmählich auch ein, als ein solches eher privates Leben eines Regenten durch Vorbilder anderswo akzeptabel wurde. Bevor dies der Fall war, blieb die Jagd, die adeligen Ferien vom Menschsein, die einzige und dementsprechend intensiv genutzte Fluchtmöglichkeit.

Ab Mitte der Siebziger Jahre sehen wir am Rückgang des Aufwands für den Hofbetrieb, wie dieser immer mehr zurückging, nur bei Anwesenheit fürstlicher Gäste oder feierlichen Gelegenheiten fand ein Hofleben überhaupt statt. Der Markgraf verbrachte meist die Wintermonate, also die Saison, in Paris, London oder Italien und den Sommer in Triesdorf. Es ist diese Phase, die die bekannte Beschreibung des Triesdorfer Hoflebens aus der Hand des Leibarztes Schoepf meint:
Die hiesige Lebensart ist zwar nicht so, wie man sich im allgemeinen das Leben auf dem Lande denkt – die abendlichen Gesellschaften dauern spät in die Nacht – und man genießt der reinigenden Morgenstunden wenig. Der Markgraf steht selten vor 9 Uhr auf, hört und besorgt die Angelegenheiten des Tages, reitet dann gemeiniglich erst um die Mitte des Tags aus. Man speist um 4 Uhr Nachmittags, man fährt, wenn das Wetter günstig ist, auf dem Wasser, fischt, promenirt und verbringt die übrige Zeit bis zum Abendessen, um 10 – 11 Uhr, mit Konversation und Billard. Unterdessen werden doch, die eigentlichen und besseren Absichten des ländlichen Aufenthalts erreicht, diese nämlich: ohne Zwang und Geräusch zu leben und der schönen Natur zu genießen.

Kein Hoftheater, keine Kammerkonzerte

Von den Essenszeiten abgesehen - eine Lebensart, die uns durchaus anspricht, wenn sie auch keinen kulturellen Anspruch zu erheben scheint; kein Hoftheater, keine Kammerkonzerte, nichts. Es ist ein wenig bezeichnend, dass der so gern zitierte Leibarzt an anderer Stelle das Leben in Triesdorf mit den Worten zusammenfasst ich reute, und fahre, und esse und trinke und vasle, wie die anderen, und genau so bezeichnend ist es, dass dies Zitat eines wirklich wissenschaftlich aktiven Geistes eigentlich nirgends aufgeführt wird. Ich suche in dem Zirkel, in welchem ich lebe, doch Wahrheit und Aufklärung, nach dem was in mir ist, und nach dem Zutrauen, das ich habe, zu verbreiten. All zuviel Publikum kann er am kleinen Hof in Triesdorf nicht gehabt haben – dass niemand seine Arbeiten über einige Seegewuerme lesen wollte mag man den hohen Herrschaften verzeihen, aber auch seine wirklich bahnbrechenden Studien über Flora und Fauna der südlichen amerikanischen Kolonien waren wohl trotz ihrer Widmung an den Markgrafen ein bisschen zu schwere Kost für das Triesdorfer Klima.

Dabei war Alexander durchaus an encyclopädischer, also allgemeinbildender Literatur interessiert. Ein Besucher vermerkte staunend, in seiner Bibliothek erstmals die große englische Originalausgabe von Cooks Reisen gesehen zu haben, und einem seiner Pagen fiel auf, dass dort nicht ein deutsches Buch stand, lauter englische, französische, italienische. Die sicher am bewunderten großen Friedrich orientierte, allmählich überholte modische Missachtung der deutschen Kulturproduktion ließ ihn die deutsche Aufklärung buchstäblich verschlafen. Ein gewisser Professor Kant zB war durchaus ein Begriff, aber leider nur als der Mathematiker, der einem Ruf an die noch sehr provinzielle Alexander - Universität nicht folgen wollte. Das Werk des überregional bekannten Ansbacher Dichter Uz war gerade einmal gut genug, das Volk bei einer open air Veranstaltung mitsingen zu lassen.

Über die Ereignisse in der Welt draußen war der Markgraf gut informiert, aus England bezog er sogar zwei Zeitungen, um sowohl die Sicht der Regierung wie der Opposition kennen zu lernen. Was Frankreich anging, gehörte er zu den ersten Abonnenten eines exklusiven Newsletters, den ein findiger in Paris lebender Regensburger aufgezogen hatte, um finanzkräftigen deutschen Gallophilen die Trennung vom kulturellen Zentrum der Welt etwas weniger schmerzhaft zu machen. Kurioserweise ist es ausgerechnet Alexanders Sammlung dieser Informationsbriefe, die heute die einzig vollständige Kollektion im französischen Staatsarchiv darstellt. Politik, Literatur, schöne Künste, Anektoden aus der großen Welt werden als Inhalt genannt. Alexander war kein Intellektueller - welches gekrönte Haupt hätte den Anspruch denn auch erheben können – aber er war überdurchschnittlich gebildet, informiert und interessiert, und der Kreis um ihn herum tat es ihm aus Neigung oder Notwendigkeit nach. Als in der Schlussphase seiner Triesdorfer Zeit Lady Craven eine Theatergesellschaft und eine Neue Gelehrte Gesellschaft ins Leben rief entdeckte seine Umgebung natürlich schleunigst ihr Interesse für diese Dinge.
Wenn all das nun ein wenig nach Bildung light klingt, nach einem Verständnis von Kultur, das die richtige Verwendung des Austernbestecks, der korrekten Anrede eines Kammerherren oder die Vertrautheit mit den Kritiken eines angesagten Theaterstückes in den Vordergrund stellt, dann ist das sicher überaus berechtigt. Innerhalb der Mauer von Triesdorf traf sich kein Rheinsberger Kreis von Schöngeistern, das war kein Weimarer Musenhof; das war eine Gesellschaft von Menschen um einen Fürsten herum, der Kultur und Wissenschaft liebte, wie es hieß, sie zu einem Bestandteil ihres Lebens machte, sie aber sie nicht in den Mittelpunkt ihres Lebens stellte.

Innerhalb und außerhalb der Roten Mauer

Die Welt außerhalb der Mauer hatte ganz andere Probleme.
Zwar gehörte der Altmühlgrund zu den reicheren Gegenden des Fürstentums, aber auch die Lebenswirklichkeit der Menschen dort hatte nichts von dem, was wir mit idyllischem Landleben meinen.

Rein optisch hätte uns der Anblick der umliegenden Ortschaften entsetzt. Was heute an stattlichen Fachwerk- oder Mauerwerkbauten aus der Zeit überlebt hat war eine kleine Minderheit innerhalb der Mehrzahl von Gebäuden, die schon Zeitgenossen als kleine mit Stroh gedeckte Hütten ... mit niedrigen Gemächern bezeichneten. Öl und Talglichter dienen zur nächtlichen Beleuchtung der ländlichen Wohnungen. Egal wie oft markgräfliche Verordnungen solidere Bauweise anmahnten und anmutige Barockbauten auf niedlichen Kupferstichen zum Vorbild darstellten war doch die Realität von den überaus bescheidenen Verhältnissen gekennzeichnet. Weidenbach hatte 64 Familien, also maximal 64 solcher Häuser, Sommersdorf 14, die Stadt Merkendorf ihrer 103.

Die wenigsten dieser Bauern hatten so schmucke Bauernhöfe wie die paar, die heute noch aus der Zeit überleben, und wenige hatten das Gespann Pferde, das in vielen Gegenden Maßstab für die Einordnung eines Landwirts als richtigen Hofbesitzer galt. Von Jochsberg und Lehrberg nördlich von Ansbach wissen wir, dass bei 26 bzw 148 Untertanen gerade einmal 7 bzw 17 Pferde im Dorf standen, und zwar eben bei den wenigen bemittelten Unterthanen. Die mochten schon einmal die 20 und mehrere Stücke Rindvieh im Stalle haben, die stolz als Symbol des Reichtums einiger Bauern aufgeführt werden. Wenige Kilometer weiter in Richtung Hahnenkamm waren die Zustände noch viel schlechter; die Bevölkerung war selbst nach den Maßstäben der Zeit größtentheils arm und besaß etwann ein einziges dürres paar Öchslein; und geht’s im Pflügen oder andere Feldarbeiten hart her, so spannt er sich geduldig als Haupt – selbst vor. Es war wohl nicht zynisch gemeint, wenn es anschließend heißt, Bey all dem erleichtert doch die Zufriedenheit sein Schicksal. Es blieb ihnen schlicht nichts anderes übrig.

Die dort lebenden Menschen sahen nicht so wenig romantisch aus wie ihre Behausungen. Ein ansbachischer Beamter namens Fischer, um die Dokumentation der Verhältnisse seines Landes bemüht, hat uns eindrucksvolle Beschreibungen der Zustände hinterlassen.

Die Tracht der ländlichen Mannsleute ... ist äußerst einfach. Ein schwarzer, brauner, bey Professionalisten blauer Rock, von eigen gezogener Wolle, oft selbst gewebt, zwillichne Hosen, ein grober Filzhut, und mit eisenen Nägeln geschlagene Schuhe, macht ihre ganze Garderobe aus. Ebenso simpel ist die Tracht der Bauernmädgen. Ein wollener brauner Rock, mit einer glatten Haube, und wenn’s festlich hergeht, etwann ein seidenes Halstuch oder in ein geringes schwarz zwillichenes Gewand gekleidet, und die Schuhe mit Bändeln gebunden . Selbst dieses armselige seidene Halstuch, ganzer Stolz und wertvollster Besitz einer armen Seele, galt schon als Luxus. Vor wenigen Jahren sah man noch kein seidenes Fleckchen an bäurischen Weibspersonen, und jetzt sind seidene Halstücher und Bänder keine Seltenheit.

Aber eben doch kein Alltagsphänomen: Doch wird dieser Aufwand dadurch erspart, dass die Weiber und Mägde zu Haus größtenteils in blossen Füssen umherlaufen, und nur die ledernen Schuhe alsdenn gebrauchen, wenn sie über Land oder nach der Stadt gehen. Männer trugen wohl fast immer Schuhe, nur Stiefel waren selten: Sie betrachten dieses schon als ein Zeichen des Staats.

„Zuerst das Fressen und dann die Kultur“

Bewunderer von Brecht mögen verzeihen, wenn ich ein Zitat hier ein bisschen massakriere – zuerst kommt das Fressen und dann die Kultur. Unser Zeitchronist berichtet dazu

Die Lebensart des anspachischen Landmanns ist nicht kostbar, denn die gewöhnlichsten Speisen sind von Mehl, auch Erdbirn oder Kartoffeln, sauer Kraut, Erbsen, Linsen, und Mehlspeisen. Gartengewächse verzehrt er wenig, weil er von Jugend auf die schwer zu verdauenden anhaltenden Speisen gewöhnt ist. Schweinefleisch genießt er ungleich mehr und lieber als Rindfleisch. Je fetter dasselbe ist, desto besser behagt es ihm. Er würzt aber diese Speise sehr stark mit Salz.. Anderswo heißt es ähnlich, Erdbirn und Sauerkraut, mit eingespinntetem Speck oder geräuchertem Fleisch, nebst grobem schwarzen Brod, und ebenso groben Mehlspeisen, macht die Nahrung der Bauern von mittelmäßigem Vermögen aus.

Die unterbäuerliche Bevölkerung, die keinen eigenen Grund bewirtschaftete, musste all das schon als puren Luxus betrachten. Hatten die anderen Bier und Brandewein als gewöhnliche Getränke so hatten sie nicht nur im Sommer mehrerntheils Wasser... zu ihrem täglichen Getränk. Noch weiter die soziale Treppe hinauf, also bei den wohlhabenden Bauern, Handwerksleuten und Wirthen bemerkt man auch hin und wieder, dass sie zum öftern den Kaffee als Frühstück geniesen, wie man denn sehr wenige Dörfer findet, in denen nicht diese Frucht verkauft wird. Immer bleibt dies ein Zeichen des sich einschleichenden Luxus ...

Auf die Verbesserung des Lebensstandards unter seinem Fürsten war der Beamte einerseits natürlich stolz (man denke, was die Einführungdes Klees allein bedeutete), seine stramm protestantische Seele konnte andererseits nicht umhin, ob der moralischen Gefahr solcher Völlerei den Finger zu heben. Reichere leben schon schwelgerischer, trinken Kaffee, und rauchen eine Pfeife Tabak dazu. Der war aber längst eine arme-Leute Droge geworden; ein unentbehrliches Stück der Tagelöhner und auf den Schiffen mit den Ansbachern auf dem Weg in den Krieg in Amerika wird berichtet, die Männer hätten ihre Brotrationen für ein wenig Tabak eingetauscht.

Schnaps war Teil aller kleinen Rituale des Alltags - kein Geschäft von einigem Belang geht unter ihnen für, es muß mit trinken angefangen, und mit trinken beschlossen werden.
Wein dagegen war bloßes Festtagsgetränk, wo gewisse Feierlichkeiten eintreten, z.B. bey Kindstaufen, Hochzeiten, Leichenbegängnissen, Kirchweihen ...

Diese wenigen Gelegenheiten im Jahr wurden ausgiebig genutzt, wenn auch die Orbrigkeit stets mißbilligend zusah. Da wurden die Abend- und alle andere Tänz, insbesonderheit aber der Tanz, so man den Schleifer nennet verboten, dem Musichalten in den Wirtshäusern, nebst andern Üppigkeiten, ... Einhalt ... getan und wenn wieder einmal Staatstrauer verordnet war wurden wochenlang solche Lustbarkeiten, der Kirchenmusik und des Orgelschlagens unterbunden.
Diese bescheidenen Vergnügungen, um es zu wiederholen, waren die der oberen zwei Drittel der Gesellschaft, die unten hatten andere Sorgen. Eine Verordnung aus einem Dorf im Westen Mittelfrankens lässt ihre Lebensverhältnisse ahnen –

Sie .. mögen .. auf der gemeind die wilden äpfel und birn auf klauben macht haben, aber nicht zu schütteln, auch nicht ehender hinauß zu gehen, dann wann der hirt hinaußgetrieben, bey straf ..

Eine bösartige Darstellung

Soweit zur materiellen Kultur. Sie lässt wenig Erfreuliches zur geistigen erwarten und selbst unser guter Herr Fischer war entsprechend entsetzt.

.. Der Mittelstand, vor lauter Licht und Aufklärung, (will) nicht diejenige, nahe an Luthers Zeiten gränzende Finsterniß bemerken, in der der Landmann noch sitzt. Gespenster und Hexen sind bey ihm zu sehr eingewurzelt, als dass sie mit wenig Mühe sollten aus dem Lande gejagt werden.... Es ist unglaublich, wie sehr der Bauer noch an solchen elenden von seinen Voreltern geerbten Meinungen klebt. Mit einer Vorliebe gegen alles alte Herkommen reichlich begabt und mit lächerlichen Vorurtheilen angefüllt, glaubt er, jede gute, zur Aufklärung oder besserer Landesökonomie dienende Verordnung wäre Neuerung – und dieses Wörtgen ist ihm durchgängig so verhasst, dass er nicht selten lieber Strafen erduldet, als Folge leistet – dem Aufklärer, der an die Zukunft und ihre Errungenschaften glaubt, war es natürlich fremd, wie in Zeiten des Umbruchs gerade Traditionen und Gebräuche einen Halt für die Hilflosen und Überforderten darstellte.

Den Errungenschaften der Medizin z. B. , so hervorragend vertreten durch den auch in Triesdorf tätigen Dr.Schoepf, mochte sich der Landmann kaum anvertrauen; ... nimmt ein großer Theil der Einwohner, in Krankheits- und anderen natürlichen Zufällen seine Zuflucht lieber zu den famosen Hexenmeister Bukmichel in Zwerenberg, als zu einem verständigen Arzt, klagt unser Berichterstatter.

Die elementare Kulturtechnik des Lesens und Schreibens hatte es schwer genug, und das nicht nur auf dem Lande. Es war schon schlimm genug in den Städtchen:
Morgends um 8 Uhr wird eine Heerde von Knaben in die Schule geschaft, ganz und zerrissen, gekämmt und ungekämmt, kothicht und gewaschen, bestrumpft und baarfuß. Nach dem Gebethe fangen die Kleinen an zu buchstabieren in einem so abscheulich gedehnten und langweiligen Tone, der sich mit nichts vergleichen läßt, weil die Natur keinen Vogel geschaffen hat, der so gräuliche Töne heult. Dann recitieren sie ihren Catechismus ohne Verstand, seitenlange Auslegungen darüber aus einem anderen Buche, Gesänge von 20 bis 30 Strophen, Psalmen und Sprüche aus dem Zusammenhang gerissen, und weil die Knaben von all diesem nichts verstehen; so gähnen sie..., der Stunde entgegen, die sie aus dem dumpfen Schulkerker ruft. Dann gehen sie mit wilder Freude nach Hause, und das Vieh, welches eingetrieben wird, erregt keinen solchen Lermen, als eine Heerde Schulkinder nach geendigter Schule ... In 4 Wochen ist alles wieder verlernt, was man hier in ganzen Jahren eingeprügelt.

Eine bösartige Darstellung, sicher, aber auf den Dörfern sah es selbst in den wohlwollenden Augen eines anderen Beobachters nicht schmeichelhafter aus.
Bey dem Kirchgang haben die Kinder auch ein Gebetbuch, aber nicht alle lernen darin zu lesen, obschon alle es mit in die Kirche nehmen, um zum Schein auch wohl hineinzusehen. Die Lesekunst hat seit einigen Jahren in Franken abermahls eine neue Stufe der Aufklärung erreicht ... Und doch kann kein Kind die alten gedruckten Bücher lesen. Im Schreiben sind sie noch nicht weiter gekommen, als vorhin. Den Katechismus können die Kinder alle auswenig von Wort zu Wort. Rechnen lernen sogar auch die Mädchen. Man darf sich aber nicht vorstellen, dass nun auch alle Unstudirte vollkommen lesen, schreiben und rechnen können. Sie lernen es wohl zum Theil, aber nicht alle Kinder, und nicht alles. Man sollte freilich denken, bey der heutigen guten Lehrart sollten alle Leuthe vollkommen lesen, schreiben und rechnen können. Die meisten aber vergessen nach den Schulen fast alles, sie sind kaum 2 oder 3 Jahre aus der Schule geblieben, so können sie fast gar nichts rechnen, schreiben kaum ihren Namen und Ort, und lesen nichts weiter, als ihre Gebetbücher.
Das Licht der Aufklärung tat es sich noch arg schwer auf dem Lande, und Triesdorf war keine Ausnahme.

„Wie hoch war die Rote Mauer?“

Wie hoch war sie also, die Mauer zwischen dem Landsitz des Fürsten und dem Dorf? Innen der Markgraf, der Kunst und Wissenschaften liebte, regelmäßige Zeitschriften und Newsletters aus der großen Welt über Politik und Kultur bezog und Bücher in mehreren Fremdsprachen las;
draußen die Untertanen mit ihrer einfachen Lebensart, ihrem Misstrauen gegenüber allem, worauf der Landesherr so stolz war – Innovationen in der Landwirtschaft, vorsichtige soziale Reformen, Förderung der Aufklärung.

Diese Mauer war erheblich höher als die drei Meter Ziegelsteine, und überwunden werden konnte sie nur von innen her. Dazu, das ist vielleicht das Tragische, war Alexander nicht der richtige Mann. Sein Vater, der Wilde Markgraf, hatte den Kontakt mit den ihn fast religiös verehrenden Untertanen genossen und gesucht; impulsiv, selbstbewußt und herrisch entsprach er auch physisch mit seiner Leibesfülle den Vorstellungen einfacher Seelen von einem Fürsten, ihrem Fürsten, der sich auf der Kirchweih zeigte, in der Schießbude herumballerte, eine Maß Bier hineinschüttete und ein hübsches Mädchen in den Arm nahm, das dann ein Leben lang mit roten Ohren davon erzählte. Wäre die exotische Limonade im Glas nicht de rigeur für ein Bild im ländlichen habit so hätte er auf dem Gemälde in Feuchtwangen einen kräftigeres Getränk in der Hand halten müssen, aber es trifft ihn auch so hervorragend. Wenn so ein Mann tobte und gewalttätig wurde – die immer wieder aufgewärmten Märchen vom erschossenen Schornsteinfeger oder dem Schäfer müssen es ja gar nicht sein – dann störte das gar nicht. Man kannte ihn ja, das war halt ein Fürst!

Und dann Alexander. Hager, zurückhaltend, ein wenig elitär, ein wenig schüchtern; kein Mann für das Bad in der Menge. Er haßte ja schon offizielle Staatsaktionen oder bloße Hofgesellschaften und fühlte sich im kleinen Zirkel seiner Bekannten und Freunde und im ungezwungensten Ton am wohlsten. Wenn sich sein ehemaliger Minister altersmilde an Gelegenheiten erinnert, bei denen er von Bauern umringt war, die ihm Bittschriften überreichten und mit denen er vertraulich sprach, dann war das gewiß nicht die Normalität des Lebens in Triesdorf. Von einer Bereitschaft, sich unter das Volk zu mischen, war bei Alexander keine Rede – das waren gelegentliche, seltene Pflichtübungen. Auch die andere Seite, die Weidenbacher Bauern, mögen an Begegnungen mit dem Fürsten und seiner Umgebung nicht mehr so interessiert gewesen sein wie früher.

Da waren schon einmal diese seltsamen Frauen in seiner Gesellschaft, statt strammer Schönheiten vom Land die nicht mehr ganz taufrische Mademoiselle Clairon mit dem Schäfchen im Arm oder die arrogante Engländerin; befremdliche Dinge wie die monatelangen Auslandsreisen des Herrn, während deren sie für sein Wohl beten mußten und jahrelange Abwesenheiten der eigenen Söhne in einem Krieg, der sie nichts anging; ein Fürst, der in einer unbekannten Fremdsprache daherredete und anfing, seinen eigenen Untertanen als potentiellen Freunden der Revolution in Frankreich zu misstrauen und sich schließlich bei Nacht und Nebel aus dem Land schlich.

Der Bauer von Weidenbach, der den Textteil des Triesdorf-Weidenbach Buchs abschließt, verkörpert diese Haltung recht anschaulich. Der Mann betrachtet den Fall seines Herrn vom Pferd mit gemessener Distanz und ein wenig philosophisch als den Fall des Hochmütigen, den der wohl verdient hat.

Die Peitsche wert in des Wilden Markgrafens Welt, ein Gemälde wert ob der Absonderlichkeit des Vorgangs bei Alexander. Auf beiden Seiten der Mauer bestand wenig Interesse, sie einzureißen.

Dr. Arno Störkel


Text des Vortrags „Wie hoch war die Rote Mauer in Triesdorf? – Der Hof des Markgrafen Alexander in seiner ländlichen Umgebung“ von Dr. Arno Störkel vom 31.03.2006 im Gasthaus Eder in Weidenbach-Triesdorf.

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